Die Essenz des Lebens ist in dem Moment sonnenklar, sobald man Vater oder Mutter wird und ein neugeborenes Baby in den Armen hält. Plötzlich dreht sich alles um das neue Leben und alles andere tritt in den Hintergrund.« So beginnt Sietze de Vries im Booklet seine Einführung in das Programm der CD und geht damit auf das »kraftvolle Bild der Mutter« in der katholischen Tradition ein. Zur “Essenz des Lebens” von Sietze de Vries gehört offenbar auch die Musik. Wie sehr er die Musik lebt, lasst sich einmal mehr auf der CD Magnificat aus dem Hildesheimer Dom spüren. Seine Musikalität muss nichts zur Schau stellen, es geht nicht um exaltierte Virtuosität oder vordergründige Effekte. Egal ob barock oder romantisch: Absolut stilsicher musiziert de Vries mit einer atemberaubenden Selbstverständlichkeit, mit der die Musik aus sich heraus spricht ~ ganz gleich ob Literaturspiel oder Improvisation.

Das durch das Salve-Regina-Motiv und das Plenum der Glocken des Hildesheimer Doms umrahmte Programm der CD zeigt einen sehr durchdachten Aufbau. Auf eine improvisierte Suite im französischen Barockstil über das Salve Regina folgen zwei Magnificat-Kompositionen Johann Sebastian Bachs (BWV 648 und 733). Eine improvisierte Partita mit neun Sätzen über den Lobgesang Mariens bringt die deutsch-barocken Farben der Orgel zum Klingen und bekommt durch die Ausführungen im Booklet auch eine ganz persönliche Note.

Der von Bach bereits eingeführte Tonus peregrinus kommt in Josef Rheinbergers Orgelsonate Nr. 4 in a-Moll zum Tragen. Und zum Schluss eine freie Improvisation im romantischen Gewand, die die in den vorigen Werken angeklungenen Themen miteinander vereint. Bei alledem macht die große Orgelanlage von Seifert im Hildesheimer Dom eine klanglich hervorragende Figur und zeigt sich als höchst vielseitig.

Hier stimmt einfach alles: Programmkonzeption, Registerauswahl, Aufnahmetechnik und nicht zuletzt die tiefe Musikalität des Interpreten. Musik als Ausdruck der “Essenz des Lebens”.

Gabriel Isenberg, Musica Sacra, oktober 2023